Sternentstehung: Kollaps von Gaswolken

Im ersten Teil dieser kleinen Reihe über Sternentstehung haben wir uns grundlegende physikalische Gesetze angesehen, die am Beginn der Sternentstehung eine wichtige Rolle spielen: die kinetische Gastheorie und das Newton’sche Gravitationsgesetz. Zur Erinnerung: Gase bestehen aus Atomen oder Molekülen, die sich in alle möglichen Richtungen bewegen und deren Geschwindigkeiten mit der Temperatur ansteigen. Massebehaftete Körper ziehen sich gegenseitig umso stärker an je größer ihre Masse und je kleiner ihre Entfernung ist.

Diese Erkenntnisse wenden wir jetzt auf die erste Phase der Sternentstehung an: den Kollaps einer interstellaren Gaswolke.

Stabilität der Gaswolke im Wechselspiel zwischen Druck und Gravitation

In einer solchen Wolke, die im Wesentlichen aus Wasserstoffatomen oder -molekülen, ein paar anderen Gasen und Staubpartikeln besteht, gibt es zwei widerstrebende Tendenzen. Zum einen die thermische Bewegung der Gasteilchen, die eine allmähliche Ausdehnung und Zerstreuung der Gaswolke befördert und zum anderen die internen Gravitationskräfte, die auf eine Kontraktion der Wolke hinauslaufen. Schauen wir etwas genauer hin:

Betrachten wir die gravitativen Verhältnisse am Rande der Wolke (wir idealisieren die Situation und nehmen eine kugelförmige, homogene Wolke an). Die randständigen Gasteilchen werden durch die Gravitationskräfte der Gaswolke in Richtung Zentrum gezogen. Je größer die Materiedichte der Gaswolke – also die Anzahl der Gasteilchen pro Volumeneinheit – desto größer ist die Gesamtmasse der Wolke und damit die ins Zentrum wirkende Gravitationskraft. Allerdings fliegen viele Gasteilchen in der Wolke aufgrund ihrer thermischen Bewegung nach außen – mit der Tendenz, die Wolke zu verlassen. Hier kommt die Fluchtgeschwindigkeit der Wolke ins Spiel (zur Erinnerung: Materie, die sich im Gravitationsfeld eines massereichen Körpers befindet, kann diesen nur dauerhaft verlassen, wenn ihre Geschwindigkeit größer als die Fluchtgeschwindigkeit ist).

Konkurrenz zwischen thermischer Bewegung der Gasteilchen und Gravitationskraft einer interstellaren Gaswolke

Schematische Darstellung der Konkurrenz zwischen thermischer Bewegung (Zerstreuung) und Gravitationskraft (Kontraktion) einer interstellaren Gaswolke: Einfluss der Fluchtgeschwindigkeit der Gasteilchen auf die Stabilität der Wolke

Wenn die mittlere Geschwindigkeit der Gasteilchen kleiner als ihre Fluchtgeschwindigkeit ist, überlagert sich deren thermischer Geschwindigkeitsverteilung eine Bewegung in Richtung Zentrum (sozusagen ein Wind, der aus allen Richtungen gen Zentrum weht). Denn die Teilchen haben nicht genug kinetische Energie, um der Schwerkraft der Wolke zu entkommen. Niedrige kinetische Energie der Gasteilchen bedeutet nach der kinetischen Gastheorie niedrige Temperatur der Gaswolke. Das heißt also: Je geringer die Temperatur und je größer die Massendichte der Gaswolke ist, desto eher „siegen“ die Gravitationskräfte über die Tendenz zur Zerstreuung der Wolke.

Da mit der Bewegung der Gasteilchen nach den allgemeinen Gasgesetzen (sog. Zustandsgleichung idealer Gase) ein Druck verbunden ist, sagt man auch: die nach innen gerichtete Gravitationskraft der Gaswolke übersteigt an ihrem Rand den nach außen gerichteten Druck. Quantitativ wird dieser Zusammenhang durch das Jeans Kriterium beschrieben, mit dessen Hilfe die für die Kontraktion der Wolke notwendige Mindestmasse errechnet werden kann.

Dichte interstellare Gaswolken sind die Geburtsstätten von Sternen

Beispiel einer dichten molekularen Gaswolke

Beispiel einer dichten molekularen Gaswolke im Carinanebel
Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Molek%C3%BClwolke

Im Weltall gibt es verschiedene Typen von interstellaren Gaswolken. Manche sind so heiß und verdünnt, dass eine Sternbildung nach dem Jeans Kriterium nicht in Frage kommt. Dagegen sind sog. „Dichte Gaswolken“ kalt und dicht genug, um eine Sternentstehung zu ermöglichen. Die Temperaturen liegen bei ca. 10 K, die Dichten bei 109 bis 1013 Teilchen pro m3 (das ist immer noch sehr viel weniger als Luft auf der Erde mit Teilchendichten im Bereich von 1025 pro m3). Die Größe variiert zwischen 20 und 600 Lichtjahren. Dichte interstellare Gaswolken bestehen im Wesentlichen aus Wasserstoffatomen und -molekülen und in geringen Mengen aus Gasen wie Kohlenmonoxid (CO). Beobachtet werden diese Gaswolken mit Hilfe der Infrarotspektren der CO-Moleküle, da Wasserstoff keine Infrarotstrahlung aussendet. Mehr zur Infrarotspektroskopie in einem früheren Beitrag.

Betont werden muss, dass die geschilderten Zusammenhänge eine starke Vereinfachung darstellen. In Wirklichkeit sind die Verhältnisse bei der Kontraktion interstellarer Gaswolken erheblich komplizierter. Beispiele sind:

  • Interstellare Gaswolken sind normalerweise stabil, da in ihnen ein Gleichgewicht zwischen Druck und Gravitation besteht. Es bedarf irgendwelcher Ereignisse (Trigger), um dieses Gleichgewicht zu stören und eine Kontraktion zu veranlassen (z.B. Stoßfronten einer nahen Supernova, Durchzug von Sternen durch die Gaswolke, Zusammenstoß zweier Gaswolken etc.).
  • Innerhalb einer Gaswolke kann es mehrere Regionen mit lokal erhöhter Dichte geben, sodass an verschiedenen Stellen Sterne entstehen können. Dies ist der Grund dafür, dass häufig Sterncluster bzw. Doppelsternsysteme beobachtet werden.
  • Neben der nach innen gerichteten Bewegung der äußeren Gasschichten existiert eine aus der Entstehung der Gaswolken resultierende Rotationsbewegung innerhalb der Wolke. Die entsprechende Zentrifugalkraft trägt zum Auseinanderstreben der Wolke bei und erhöht die Jeans-Grenze. Die Rotationsbewegungen führen auch dazu, dass Sterne eine Eigenrotation aufweisen, da der Drehimpuls der Wolke bei der Kontraktion erhalten bleibt: ähnlich wie bei einem Eisläufer, der schneller rotiert, wenn er seine Arme an den Körper presst, wird auch die Rotation der Wolke bei der Kontraktion schneller. Dadurch führen selbst geringe Rotationsbewegungen in der Wolke zu hohen Rotationsgeschwindigkeiten der Sterne (unsere Sonne dreht sich in ca. 25 Tagen einmal um sich selbst, was einer Rotationsgeschwindigkeit am Sonnenäquator von über 1.000 km/h entspricht).

Fazit

Dichte interstellare Gaswolken sind kalt und dicht genug, um Sternentstehung zu ermöglichen. Die Gravitationskräfte sind größer als der innere Druck der Gaswolken und bewirken eine Kontraktion der Wolke.

Im nächsten Teil der Beitragsreihe schauen wir uns an, wie es nach dem Beginn der Kontraktion weiter geht und was ein Protostern ist.

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